Zur falschen Zeit am richtigen Ort – Timing
Es gibt eine simple, aber alles andere als einfache Möglichkeit, sich das Reiterleben leicht zu machen: passendes Timing.
Jeder Reiter hat es schonmal erlebt: man macht eigentlich alles richtig, aber nichts funktioniert, das Zusammenspiel der Hilfen klappt so gar nicht, das Pferd reagiert zwar, aber alles, was es tut, wirkt fahrig und unvorbereitet und man hat einfach keine Idee, woran es liegen könnte.
Und irgendwann scheint plötzlich alles zu passen, die Hilfen kommen durch, das Pferd reagiert und bewegt sich planvoll und ausbalanciert: Hier hat wahrscheinlich einfach mal zufällig das timing gepasst.
Aber das muß (und darf) kein Zufall bleiben: timing kann man trainieren.
Was bedeutet korrektes Timing?
Korrektes Timing ist etwas, was sich durch alle Aspekte des Umgangs mit Pferden zieht – auch bei der Bodenarbeit, ja sogar beim Pflegen und Füttern wird vieles einfacher, wenn man es schafft, genau zur richtigen Zeit das richtige zu tun.
Beim Reiten hat man oft zwei typische Fälle, einmal das Timing in der Hilfengebung, hier hängt es von der grundsätzlichen Bewegungsphysiologie des Pferdes ab, welche Hilfe in welcher Bewegungsphase kommen muß, um mit möglichst geringem Kraftaufwand möglichst effektiv zu sein. Wer mit beinah unsichtbaren Hilfen reitet, bringt diese wahrscheinlich genau im richtigen Augenblick an.
Dazu muß sich der Reiter zwei Dinge bewußt machen:
- Was tut mein Pferd gerade?
- Welchen Bereich des Pferdekörpers beeinflusse ich durch genau diese Hilfe?
Das klingt beides sehr simpel – erfordert aber sowohl etwas Auseinandersetzung mit der Materie als auch eine gute Portion Gefühl fürs Pferd. Wissen, was das Pferd gerade tut, bedeutet sowohl, die Bewegungen und Bewegungsmöglichkeiten des Pferdes verstanden zu haben, als auch aus dem Sattel spüren können, wie sich das Pferd bewegt.
Ein einfaches Beispiel: das Angaloppieren aus dem Trab.
Der Reiter muß als erstes einmal die Fußfolge im Trab (ist-Zustand) und die Fußfolge im Galopp (Soll-Zustand) vor Augen haben. Zusätzlich auch noch den charakteristischen Vorgang des Anspringens im korrekten lead.
Daraus ergibt sich schon, daß das Pferd nur aus einer bestimmten Trabphase flüssig in den korrekten Galopp springen kann. Diese Phase muß nun erspürt werden. Außerdem sollte der Reiter ein Gefühl für die Reaktionszeit des Pferdes haben, so daß er die Galopphilfe (oder deren treibenden Teil…) rechtzeitig vor der entscheidenden Trabphase anbringen kann.
Außerdem muß der Reiter wissen, wann sein Pferd bereit fürs angaloppieren ist: er benötigt zunächst einmal einen guten Trab, bei dem die Hinterhand weit genug untersetzt, um den zusätzlichen Schub für die nächsthöhere Gangart bereitzustellen und außerdem versammelt genug ist, um den gegenüber dem Trab schlechter gestützten Galopp auszubalancieren. Dann erst kann durch das Stellen, bei dem hauptsächlich die Gewichtshilfen aktiv werden, der Galopp vorbereitet werden, und schließlich kommt impulsartig in der richtigen Trabphase der treibende äußere Schenkel hinzu. Stimmte das timing, wird er kaum etwas zu tun haben und der innere, der bereit ist, jederzeit eine ausfallende Schulter aufzufangen, wird wohl gar nicht zum Einsatz kommen…
Übungsaufgaben:
Zum Aufwärmen: etwas Gangarten-Raten
Zum Üben: Welche Hilfe in welcher Phase?
Eine etwas globalere Baustelle fürs timing ist das „Nachkorrigieren“ beim Reiten einzelner Aufgaben durch zusätzliche Impulse.
Nehmen wir wieder einen ganz einfachen Fall: Das Reiten eines Zirkels.
Im Optimalfall ist der Zirkel ebenmäßig rund, das Pferd gemäß seiner Linie gebogen und das Tempo gleichmäßig, ohne daß der Reiter irgendeine weitere Hilfe geben muß, als seine eingängliche Gewichtshilfe, die das Pferd bog und auf die Zirkellinie brachte.
Im Normalfall hat das Pferd eine Schokoladenseite, der Reitplatz ist in der einen Hälfte interessanter als in der andern und der Reiter sitzt auch nicht wirklich still. Ohne weitere Einwirkung wird so ein Zirkel also ganz schnell schief und krumm.
Das nachkorrigieren, wenn das Pferd nach innen oder außen driftet oder das Tempo ändert, geht einem schnell in Fleisch und Blut über – in den allermeisten Fällen aber korrigieren Reiter erst, wenn das Pferd wirklich eindeutig von der Zirkellinie abweicht – je nach Bedarf mit unterschiedlichen Hilfen, durch nach-außen-schieben mit dem inneren Schenkel am Gurt, durch einen Zügelimpuls außen, wenn das Pferd überbogen ist, durch den äußeren Schenkel, wenn es nach außen drängelt und natürlich all das in unterschiedlichen Kombinationen.
Oft sieht man dann Pferde, die stark überbogen oder nur im Hals gestellt mit den Vorderbeinen überkreuzen, während der Reiter mit weit ausgestreckter Zügelhand neben seinem Pferd hängt – eine Hilfenkombination, die selbst ein ziemlich grünes Pferd eigentlich schon zu einen sofortigen rollback veranlassen sollte, für eine simple Linienkorrektur aber ziemlich übertrieben ist.
Was ist da passiert? Ganz einfach: der Reiter war zu langsam. Entweder, er hat ein leichtes Verlassen der Zirkellinie übersehen oder zu spät korrigiert und muß das ganze nun mit deutlicherer Einflußnahme ausdiskutieren als für die korrektur nötig gewesen wäre, oder aber er hat zu spät reagiert und die Abfolge seiner Korrekturmaßnahmen war zu langsam.
Meist kann man schon an der Veränderung der Stellung, oft auch an der Kopfposition erkennen, ob das Pferd demnächst die vorgegebene Linie verlassen wird, und dies ist bereits genau der richtige Moment, dieses Ansinnen bereits im Keim zu ersticken. Als nächstes sollte schon jetzt genau die richtige Hilfenkombination ausgewählt werden – oder bereits das erste dem Verhalten des Pferdes gegenläufige Signal gegeben werden. Beim verlassen der Zirkellinie wird dies zumeist eine einfache leichte Gewichtsverlagerung sein, stellt sich das Pferd auch falsch, kommt eine (einseitige) Veränderung des Zügelgewichts und/oder ein Signal mit dem jeweiligen Schenkel hinzu. Kennt man sein Pferd gut genug, sagt ihm bereits das angenervte Ausatmen des Reiters: „ich habe bemerkt, was du vor hast und werde gegebenenfalls etwas dagegen unternehmen“ – oft genug ist das alles, was nötig ist, um das Pferd wieder auf Kurs zu bringen, warum also sollte man dann noch auf weitere Hilfen zurückgreifen?
Korrigieren mit Hilfenkombination oder stufenweiser Hilfenabfolge?
Die einfachste Möglichkeit, rechtzeitig zu reagieren ist – nicht zu reagieren. Sondern zu antizipieren. Beobachte ich mein Pferd so eingehend wie mein Pferd mich, werde ich irgendwann ein Gefühl dafür entwickeln, was es als nächstes tut – und kann ganz entspannt und vorbereitet im genau richtigen Moment das Richtige tun.